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Schreimutter! You're welcome...

Es gibt viele Gründe die Nerven zu verlieren, aber mehr sprechen dafür einfach mal zu chillen...

Bist du auch gegen Gewalt in der Erziehung? LIKE! 

 

Diese Frage kriegt von mir kein Herzli. Nein mehr noch, ich finds nett gemeint aber es närvt. Es handelt sich hierbei um eine Suggestivfrage der anderen Art. Gegenfrage: Meinsch ig bi blöd?  Noch ne Frage: Uf was wosch genau use? Gewalt in der Erziehung fingsch schlimm? Ich auch. Und deine „Beziehung statt Erziehung“ Säuseleien find ich im Fall ebenso mühsam. Aber erst mal der Reihe nach. 

 

Gewalt in der Erziehung ist ein sehr schwieriges, sensibles und wichtiges Thema, welches uns alle betrifft. Nicht nur, weil niemand Opfer von Gewalt sein möchte, sondern auch, weil ein jeder sich bewusst sein sollte, dass er ungewollt oder gewollt auch Gewalt ausübt.  Die Grenzen der angewandten und gefühlten Gewalt sind fliessend und messen sich nicht zuletzt am Empfinden des Menschen, gegen den sie gerichtet ist. Gerade an uns Mütter werden diesbezüglich hohe Erwartungen gestellt – nicht zuletzt von anderen Müttern. Hast du also den Kaiserschnitt Shitstorm überstanden, das Schweigen beim schöppele ausgehalten, das Starren beim Stillen deines zweijährigen Kindes ignoriert? Jetzt darfst du dir nun anhören, dass dein Kind sozio-emotional gestört sein wird, weil du ihm mal in ner höheren Stimmfrequenz und mit deutlicher Aussprache klargemacht hast, dass im Grossverteiler nicht Esswaren angefasst oder gar herumgeschmissen werden. Natürlich musstest du das Kind gegen seinen Willen zu dir nehmen, weil es mega Lust hatte sich dein Anmerkungen zum Verhalten im Öffentlichen Raum und dem Umgang mit Gegenständen, welche noch nicht mal sein Eigentum sind  anzuhören - NOT!

 

Was mich an solche Fragen stört ist, wie die Fragenstellende die Mutterrolle idealisiert. Denn die Mama ist selbstlos, rein, ungetrübt, und hat Nerven aus Stahl, hesch gwüsst? Starke Gefühle, wasch das? Ich liebe doch meine Kinder, mein Leben, holy fucking motherhood. Hoi, noch mehr Druck, merci liebe Fellowmama Bloggerin, merci dafür!

Andererseits wird sehr unvollständig und einseitig informiert. Es ist eine Art Propaganda, welche eigentlich für eigene Zwecke missbraucht wird. „Ich hab die Wahrheit in mir, lies mich, folge mir!“ 

 

Kinderschutz Schweiz bezeichnet übrigens folgende Verhaltensweisen auch als Gewalt in der Erziehung:

  • wenn Kindern keine Grenzen gesetzt werden.
  • wenn Eltern ihren Kindern Orientierung verweigern und sich ihrer Verantwortung ihnen gegenüber entziehen.

Und? Überlässt du auch jegliche Entscheidungen deinem Kind liebe Beziehungssäuselengelmama?

 

All die Elfenhaften Fellowmamas, welche nie laut werden und immer auf die Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen können, welche im Migros ihr Kind nicht mal zu sich nehmen und deutlich werden müssen: Ich gratuliere euch! #ghörschmichlatsche Ihr empört euch über Schreimütter und hört vor lauter Gewaltproteste die stummen Schreie der Opfer systematisch und regelmässig angewandter Gewalt nicht. Das muss ein sehr friedliches, hamonisches Leben sein, welches ihr da führt.

 

"Nicht jede nach aussen liebevoll wirkende  Mama im Supermarkt, ist auch wirklich eine."

 

Weisch eigentlich wie gewaltanwendende Menschen ihre Opfer abhängig machen? Man erkennt ein misshandeltes Kind oft nicht sofort als solches, wenn man es mit seinene Eltern sieht. Oft hängt und klammert es regelrecht, ist total verschmust. Natürlich auch weil es sich im öffentlichen Raum sicher fühlt und sich dort seine Liebe nimmt. Ja, ich weiss das, erinnere mich noch wie gestern. Nicht jede nach aussen liebevoll wirkende  Mama im Supermarkt, ist auch wirklich eine. #dashättigniedänkt

 

Die Art und Weise, wie sich manche Blogger für eine Kindheit ohne Gewalt einsetzen, oder Mütter auf dem Spielplatz reagieren, wenn man mal vom Flüsterton in die „jeder kann alles hören“ Lautstärke kommt, empfinde ich teilweise als elitär. Bei der ersten Personengruppe scheint mir dieses Thema auch für fishing for compliments benutzt zu werden. 

An jeder Ecke werden wir Eltern zugeballert mit Ratschlägen zu einem gewaltfreien Umgang. Mercischön.

 

"Vermeintlichen Tätern kann so jegliche Hoffnung genommen werden es jemals besser machen zu können. "

 

Es gibt also da draussen Bloggerinnen, welche ihre Leserinnen auffordern Position zu beziehen, dabei werden kaum die Rahmenbedingungen geschaffen offen und wertfrei auch über das eigene Versagen zu berichten und sich auszutauschen. Denn ja, man kann für eine Erziehung ohne Gewalt sein, einen bindungsorientierten Erziehungsstil pflegen und doch reisst einem manchmal der Geduldsfaden ohne, dass man das will. Wir sprechen hier von einem wichtigen Problem, welches ausgeschlachtet und kommerzialisiert wird. Tipps wie „zähle bis 10“, „verlasse den Raum“, „fahr alljährlich auf die Malediven um deine Mutterbatterie aufzuladen“ sind nett, vielleicht im ein oder anderen Fall hilfreich, aber wenn ich alleine, physisch und psychisch nicht mehr auf der Höhe, total überfordert oder – im allerschlimmsten Fall – einfach nur böswillig bin und meinem Kind nichts Gutes abgewinnen kann, verpufft jeder gute Tipp im Nichts. Meiner Meinung nach sind diese Ratschläge oft am Ziel und vor allem der Zielgruppe vorbeigeschossen. Des Weiteren wird die ganze Verantwortung den Eltern abgeschoben, auch wenn sie sich selbst reflektieren und vielleicht erschwerte Rahmenbedingungen haben. Gefühle des Versagens machen sich breit. Vermeintlichen Tätern kann so jegliche Hoffnung genommen werden es jemals besser machen zu können. Es folgt eine Negativspirale aus der man kaum raus kommt, weil in einem Ratgeber nicht auf die Situation der betroffenen eingegangen werden kann. Das macht mich ranzig, aber so richtig.

 

"Wer seinem Kind gegenüber noch nie Gewalt angewendet hat, möge den ersten Stein werfen."

 

Ich habe als Mutter bereits gedroht, erpresst, ich habe gestraft und auch Kinder ins Zimmer geschickt. Ich habe geschrien, geschimpft und ich habe auch schon ein Kind grob gepackt. Während ich das hier schreibe kommen mir die Tränen und eine grosse Scham macht sich breit. Ich will das nicht für meine Kinder, nein, das will ich nicht sein. Wer seinem Kind gegenüber noch nie Gewalt angewendet hat, möge den ersten Stein werfen. Meiner Meinung nach liegt die Wurzel des Problems bei der Scham. Denn Scham führt zu Hemmungen, Hemmungen zu Schweigen, Schweigen zu Isolation. Wieso und wofür? Um unser Gesicht zu wahren? Um nicht verurteilt zu werden? Wieso tun wir uns und unseren Kindern an? 

 

Statt auf Blogs und Instagram zu zeigen wie gut man alles kann, losgelöste Quotes von Pädagogen zu posten und idealistische Statements einzufordern sollte man mal zuhören und eine Plattform für eine Gesprächskultur bieten, in welcher wir uns alle sicher fühlen dürfen. Statt anderen die Stempel „Misshandlung“ und „Gewalt“, "Versager" aufzudrücken, sollten sich solche Menschen ihrer Privilegien bewusst werden. Denke mal über deine Vergangenheit nach, dann mach dir ein Bild über deine (finanziellen) Mittel und Möglichkeiten, welche mit deinem Potenzial einhergehen. Du bist vielleicht gut ausgebildet, bringst eine gewisse soziale und emotionale Kompetenz, die finanziellen Mittel und ein paar kognitive Fähigkeiten mit?  Nett, wenn du dein Kind nie anschreist. Aber keine Sorge, es erfährt bestimmt auf die eine oder andere Art Gewalt von dir. So, wie andere von dir abgestempelt werden, habe ich keinen Zweifel daran, dass du nicht frei von Gewaltanwendung bist. 

 

Ein jeder sollte vor Augen haben: Ausgrenzung und soziale Ächtung hilft niemandem. Die Lösung dieser Probleme kann nur Wohlwollen, Verständnis und  Liebe sein. 

Statt zu verurteilen, sollten wir nachfragen, wie es den vermeintlichen Tätern geht, was sie beschäftigt, wie es um ihre Mittel steht. Nie sollte man ausser Acht lassen, dass starke Gefühle empfunden werden dürfen. Wir dürfen nicht dem Kind sagen, dass jedes seiner Gefühle ok ist und selbst alle negativen Gefühle unterdrücken. Das ist unauthentisch und verstört das Kind mindestens genau so. Friede, Freude, Eierkuchen? No way, aber sei dir als Elternteil bewusst, dass die Schwierigkeit nicht in deinen Gefühlen vergraben liegt, sondern darin, wie du mit ihnen umgehen kannst und ihnen auch Ausdruck verschaffst. Und bitte, BITTE, lass das alle Fellowmamas und Fellowpapas wissen wenns mal scheisse läuft und teile deinen Struggle.

 

"Diese Grenzen sind legitim, du hat ein Anrecht auf sie auch wenn man Erwachsen oder eben Elternteil ist."

 

Du hesch e Wulle im Buuch? Ja gopfer, de isch si haut da! Was machemer? Ganz einfach, dich erforschen und erkunden. Es ist wichtig sich zu kennen und zu wissen wo deine Grenzen sind. Diese Grenzen sind legitim, du hat ein Anrecht auf sie auch wenn man Erwachsen oder eben Elternteil ist. Statt uns das gegenseitig abzusprechen, sollten wir uns ermutigen unsere Grenzen kennenzulernen und zu anerkennen. Vielleicht trifft man sich sogar an der ein oder anderen solchen Borderline? Es geit grad nümm? Ab a Gartehaag, mir gränne nis schnäu id Täsche!

 

"Es geht nicht um das eine Mal, in welchem du dein Kind angeschrieen hast. Es zählt jedes mal, wenn du gemerkt hast, dass du für alle Beteiligten nicht mehr angemessen reagierst und du dich aus der Situation befreien kannst."

 

Der Kern dieses Beitrages liegt nicht darin Gewalt zu verherrlichen oder gar zu propagieren. Erlebte Gewalt lähmt ein Leben lang. Es macht, dass Teile des Körpers vermeintlich absterben und im Herzen und der Seele ein grosses schwarzes Loch zurückbleibt. Es erschwert Liebe annehmen zu können und prägt das soziale und Leben auf allen Ebenen. Und glaube nicht, dass die Gewalt, welche heute angewendet wird morgen vergessen ist. Es bleibt immer eine Narbe oder gar ein Handicap zurück. Dennoch wünsche ich mir, dass wir aufhören einander zu verurteilen. Das schützt weder Kinder noch hilft es den Eltern. Ist der Samen der Angst (egal ob die Eltern oder Kindern) gesäht, bringt man ihn nicht so schnell wieder weg. Es geht nicht um das eine Mal, in welchem du dein Kind angeschrieen hast. Es zählt jedes mal, wenn du gemerkt hast, dass du für alle Beteiligten nicht mehr angemessen reagierst und du dich aus der Situation befreien kannst. Wir zählen die Erfolge! Bleibe positiv und am Ball.

 

Abschliessend möchte ich noch sagen, dass es Situationen gibt,  welche den noch so starken Fels in der Brandung aus der Ruhe bringen können. Ein Schreikind, Übermüdung, Krankheit auch Entwicklungsstörungen aber auch finanzielle Probleme, Schwierigkeiten in der Beziehung oder andere Belastungen können solche Faktoren sein. Man möchte nur das Beste für sein Kind, aber die eigene physische und psychische Kapazität ist aufgebraucht. Das kann jeden und jede von uns treffen. Wut kann einem von hinten anspringen und man weiss plötzlich nicht wie einem Geschieht. Nicht nur manchmal versteckt sich hinter Wut tiefe Trauer. Lueg häre, gschpürs! Bi dir, bi angere bi aune wos nume geit.

 

Ich möchte uns alle dazu ermutigen ehrlich und offen zu sein. Lasst uns die schwierigen Momente teilen, die Last gemeinsam tragen und lasst uns wohlwollend miteinander umgehen. Für uns unsere Kinder und letztlich für alle folgenden Generationen. Es ist richtig, dein Verhalten zu hinterfragen, aber bleibe aktiv, progressiv und positiv in deiner Kommunikation.  Teile, wenn es nicht mehr geht, rede mit anderen, aber erzähle auch von deinen Erfolgen, wir feiern sie mit dir. Suche wann immer mit deinen Kindern das Gespräch, lass sie wissen, wenn du an deine Grenzen kommst bevor es eskaliert und sagt ihnen immer und immer wieder wie sehr du sie liebst. Das ist ehrlich und authentisch und sie lernen, dass auch Erwachsene manchmal nicht mehr können.

Und letzten Endes muss ich doch noch pathetisch werden. Denn alles Chaos, Kindergschtürm und jede Verspätung ist Pipifax im Vergleich zur Verunsicherung, der Angst und des angeknacksten selbstwertes deines Kindes. Und glaube nicht, dass Konsequenzen androhen oder Grenzen setzen bedeutet, dass du gewälttätig bist.  Das ist ein ganz grosser Irrtum. Gewalt beginnt da, wo dein gegenüber Angst kriegt, nicht da wo Erziehung- trotz guter Beziehung, ja, das ist möglich– anfängt.

 

Nüt me Gschpürsch mi. Lieber Fisch ufe Tisch und party on! Und, wie findsch? Like, wenn du auch für realistische Elternbilder bist! Hahaha...ne, muesch nid. 

 

 

Anm.: 

2018 wurden in 20 Kliniken 1502 Fälle von Gewalt an Kinder gemeldet. Darin enthalten sind körperliche Misshandlungen, psychische Misshandlungen, Vernachlässigung, sexueller Missbrauch und Münchhausen – Stellvertreter Syndrom. Die Diagnose wurde bei 61,5% sicher, 20,6% wahrscheinlich und bei 17,9% unklar gestellt (Nationale Kinderschutzstatistik 2018). 38,5% der Fälle konnten also nicht klar kategorisiert werden, ganz zu Schweigen von der Dunkelziffer. Es ist an der Zeit ein Tabu zu brechen. 

Wer wissen möchte, welche Formen der Gewalt in der Erziehung es gibt und ob vielleicht die ein oder andere zu Hause angewendet wird, liest mal auf www.kinderschutz.chnach. Dort findest du auch die Empfehlungen an das  Parlament (denn nein, es ist nicht nur unser Problem) viele Flyer, Factsheets, Merkblätter und Informationen zu den Kursen Starke Eltern – Starke Kinder.

 

Zusätzlich möchte ich euch das Bilderbuch „Schreimutter“ von Jutta Bauer ans Herz legen. „Pinguin-Kindern ergeht es manchmal nicht anders als Menschen-Kindern. Ihre Mutter ist wütend.“ Es ist ein wunderschönes, ruhiges und doch so kraftvolles Buch mit einem Ende, welches mich jedes mal mit nem Kloss im Hals zurücklässt. Und jedes mal, wenn ich es zuklappe, werde ich von meiner Gang ganz fest gehalten. #beschtichinder 

 

Wenn du sehr oft wütend wirst und nicht weist wohin mit deinen Gefühlen, schau mal bei den Ladies von kleinstadt.ch nach. Sie haben einerseits eine Nothilfe für wütende Eltern zusammengestellt und einen Beitrag zum Thema Time out – Wer wirklich eine Auszeit braucht. 

 

Willst du zwischendurch einfach mal Dampf ablassen und deinem Frust freien Lauf lassen? Benutze einfach den Häschtäg #fischufetisch und statt es an deiner Gang rauszulassen. So bitzeli jammern tut äbe guet und du bist im Fall nicht alleine! Und für alle Motzer da draussen gilt #chillmal !

 

Abschliessend und von ganzem Herzen möchte ich dir wiedermal Susanne Mierau ans Herz legen. Bei ihr möge sich vieles idealistisch anhören, aber lass dir gesagt sein, sie ist nicht einfach eine Kinderflüstererin mit idealistischen pädagogischen Werten. Susanne hat die Besondere Fähigkeit schwer zu Deutendes in Worte zu fassen und die richtigen Fragen im Leser aufkommen zu lassen ohne sie zu stellen. Sie provoziert nicht und verlangt nichts von dir. Für mich ist sie soetwas wie der Mensch, welcher es vermag den richtigen Samen in einem zu sähen. Hier ein Artikel über Kinder, welche uns herausfordern. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Sissy (Sonntag, 27 Juni 2021 22:37)

    Vielen Dank für den Artikel. Er hilft mir gerade sehr. Mit geht es 1:1 genauso. Ich wünsche mir hier auch mehr Ehrlichkeit. Auch mir kommen oft die Tränen, wenn ich es nicht hinkriege, trotz besseren Wissens! Das letzte was man dann braucht, ist, verurteilt zu werden, um sich dann wie ein totales Monster zu fühlen.

  • #2

    Nadja (Donnerstag, 26 August 2021 11:24)

    Hey dein Text hat mich eben so was von abgeholt. Vielen Dank dafür!